Foto: Thomas Protz
Ein Musical über die „kaputten Knochen“, die das Leben ganz schön beschwerlich machen können. Ein Theaterstück über steigende Mieten. Zudem Stücke, die sich mit Schlaflosigkeit im Alter oder dem Pflegenotstand in Seniorenheimen auseinandersetzen – und die auch vor dem Tabuthema Tod nicht zurückschrecken. Das „Theater der Erfahrungen“ bringt die Themen auf die Bühne, die den Laienschauspielern am Herzen liegen. Die Berliner Sparkasse unterstützt Deutschlands ältestes Seniorentheater dabei gern.
Angefangen hat alles vor 42 Jahren. Die angehende Theaterpädagogin Eva Bittner war auf der Suche nach einem Thema für ihre Abschlussarbeit. „Das war damals die große Zeit des Zielgruppentheaters“, erinnert sich die heute 65-Jährige. Und so stellte sie sich die Frage: Warum nicht mal die Erfahrungen alter Leute auf der Bühne abbilden? Das war die Geburtsstunde des „Theaters der Erfahrungen“ (TdE) – des Seniorentheaters, das Eva Bittner seinerzeit unter dem Dach des Nachbarschaftsheims Schöneberg gründete. Das Laientheater wurde zu einem Erfolgsschlager – und ist es bis heute. „Manchmal überrascht es mich selbst, wie toll sich dieses einstige Pilotprojekt entwickelt hat“, sagt Eva Bittner, die das TdE gemeinsam mit Johanna Kaiser leitet. Ebenso wie Bittner ist auch Johanna Kaiser Theaterpädagogin, lehrt als Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule.
Die Senioren entwickeln ihre Theaterstücke selbst
Was das Besondere am Theater der Erfahrungen ausmacht? Da ist zum einen die Tatsache, dass die meisten der schauspielbegeisterten Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne bereits im Rentenalter sind. Eigentlich liegt das „Mindestalter“ bei 55 Jahren, um bei einer der drei Gruppen – dem „RostSchwung“, den „Spätzündern“ oder den „Bunten Zellen“ – mitmachen zu können. „Aber so dogmatisch sehen wir das nicht“, sagte Eva Bittner. Und da ist zum anderen der Fakt, dass die Bühnenakteure alle ihre Stücke selbst entwickeln und umsetzen: „Die Leute bringen das auf die Bretter, was ihnen auf den Nägeln brennt, das macht die Inszenierungen so lebendig und ansehenswert.“
Breit gefächerte Themenpalette von Mietwucher bis Klimawandel
Der „RostSchwung“ – die Gruppe, die im Friedrichshainer Nachbarschaftzentrum RuDi probt – arbeitet beispielsweise gerade an einem Stück über den Klimawandel. Die „Bunten Zellen“, die deutsch-türkische Theatergruppe aus Neukölln, beschäftigt sich aktuell mit der Verdrängung aus dem Wohnumfeld durch steigende Mietpreise. „Aber das ist nicht bierernst, sondern humorvoll gemacht – aus der Sicht mehrerer rebellischer Balkonpflanzen“, erzählt Eva Bittner. Und die im Schöneberger Nachbarschaftsheim beheimateten „Spätzünder“ touren mit ihrem Impro-Format „Von jetzt auf gleich“ durch Berlin. „Da spielen die Darsteller auf Zuruf das, was das Publikum will“, erklärt Eva Bittner.
Gespielt wird überall, wo es eine Bühne gibt
Mal treten die Laiengruppen in Senioreneinrichtungen auf, mal in Kirchengemeinden, in Schulen oder Kitas. „Wir sind ein Wandertheater und spielen auf Einladung überall dort, wo es eine Bühne gibt – oder genauer gesagt: einen Platz von vier mal sechs Metern Größe“, sagt Eva Bittner. Einmal im Monat treffen sich die verschiedenen Gruppen zum „Heimspiel“, einer gemeinsamen Aufführung am TdE-Stammsitz im Nachbarschaftsheim Schöneberg. Da sind manchmal auch Darstellerinnen und Darsteller aus den zahlreichen Nachwuchsgruppen dabei, die das Theater der Erfahrungen initiiert hat – wie die „Rosa Falten“ aus Charlottenburg, „Fallobst“ aus Tempelhof oder die „Sultaninen“ aus Neukölln.
Keine Angst vor Tabuthemen wie Krankheit und Tod
Vermutlich sei das TdE gerade deshalb so langlebig, weil es so viele Facetten habe, sagt Eva Bittner. So habe man zahlreiche intergenerative Projekte angeschoben und kooperiere unter anderem mit einem Besuchsdienst für Demenzkranke und einem Hospiz. „Diese Kooperationen sind sehr berührend“, sagt die Theaterleiterin, „weil man viel voneinander lernt“. Das TdE wagte das Experiment, mit Demenzkranken Theater zu machen – die Produktion „Vergissmeinnicht“ wurde ein voller Erfolg. In nicht wenigen Berliner Stadtteilzentren führten die Laienschauspieler zudem ihr Stück „Ex und Hopp(s) – oder gibt es Strom im Jenseits?“ auf. „Ehrenamtliche aus der Hospizarbeit gaben den Anstoß zu dieser Produktion, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie wir sterben wollen“, berichtet Eva Bittner.
Die Jungen am Wissensschatz der Alten teilhaben lassen
„Ältere Menschen haben viel erlebt und darum auch viel zu erzählen. Ihre Erfahrungen, ihr reichhaltiges Wissen, ihre Lebensklugheit möchten wir in den Theaterstücken verarbeiten und mit den jüngeren Generationen teilen“, betont die 65-Jährige. Wer nicht mehr im Berufsleben stehe, dem werde oft nicht mehr zugehört. Dem wolle man etwas entgegensetzen. „Wir gucken auf die Talente, auf das, was die Alten können, und nicht auf das, was sie nicht oder nicht mehr können.“ Das sei für die Senioren auf der Bühne ebenso ermutigend wie für die alten Menschen im Publikum. Und den Jungen vermittle man die Botschaft, dass „Altern und Alter keine Horrorvorstellung“ sei. Vielleicht könnten Aufführungen in Schulen auch dazu beitragen, für den Pflegeberuf zu begeistern.
Dank der Berliner Sparkasse mit neuem Bulli auf Tournee
Vor der Corona-Pandemie kam das Theater der Erfahrungen auf 70 bis 80 Auftritte pro Jahr. Eine Zahl, die man jetzt wieder erreichen will. Die Aufführungen sind übrigens längst nicht auf Berlin beschränkt. „Wir gehen gern auf Tournee“, sagt Eva Bittner. Reisen ins Ruhrgebiet, nach Göttingen oder Bremen seien stets ein Sahnehäubchen. „Unser alter VW-Bus hat uns sogar bis in die Schweiz und nach Italien gebracht.“ Doch mittlerweile schwächelte der 2008 mit Unterstützung der Berliner Sparkasse angeschaffte Bulli. Auch wenn das Theater der Erfahrungen kontinuierlich vom Berliner Senat gefördert wird und sich zudem über Geld aus dem Europäischen Sozialfonds freuen konnte: Bei unvorhergesehenen Kosten kann es trotzdem eng werden. Umso mehr freute man sich über die aktuelle Finanzspritze aus der Sparkassenlotterie PS-Sparen und Gewinnen. „Dank dieser Förderung konnten wir einen neuen VW-Bus anschaffen“, sagt Eva Bittner. Für ein Wandertheater wie das TdE sei das existenzsichernd. Auch dem (Wieder-)Aufbau der Nachwuchsgruppen nach der Corona-Pause kann sich das Theater nun wieder mit ganzer Kraft widmen – hierfür gab es jetzt ebenfalls einen Zuschuss aus PS-Mitteln.
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