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Anne-Kathrin Ostrop, Komische Oper Berlin

Foto: Aurelio Schrey

Musikalische Welten entdecken: „Die Oper ist ein Gemeinschaftserlebnis"

Anne-Kathrin Ostrop ist Leiterin der Abteilung „Jung und Jede:r“ an der Komischen Oper Berlin, die gemeinsam mit der Berliner Sparkasse das Projekt „Berliner Sing Along“ ins Leben gerufen hat. Wie es ist, wenn rund 1.000 Schüler*innen im goldenen Saal des Opernhauses singen und welche Verbindung Oper zwischen Menschen schaffen kann, hat sie im Interview verraten.

Musik ist für alle da!

Mitten im Herzen der Stadt steht die Komische Oper Berlin. Sie blickt auf eine wechselvolle Geschichte seit ihrer Gründung im Jahr 1947 zurück. Heute hat die Komische Oper das jüngste Opernpublikum in ganz Berlin. Nicht zuletzt durch die vielen spannenden Angebote für Kinder und Jugendliche. Von der Kinderoper, über Kinderkonzerte, Workshops bis zu digitalen und analogen Projekten wie dem „Berliner Sing Along“, setzt die Komische Oper Berlin auf die musikalischen Interessen des Nachwuchses. Mehr als 45.000 Kinder, Jugendliche und ihre Familien besuchen jährlich das Opernhaus in Berlins Mitte. Leiterin und Initiatorin der Abteilung „Jung und Jede:r“ ist Anne-Kathrin Ostrop. Seit 2004 sorgt sie für kindgerechte Unterhaltung und neue Perspektiven auf die Kunstform Oper.

Frau Ostrop, die Komische Oper Berlin hat eines der größten Opernangebote für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit den Kindern auf den Weg geben?

Nicht jeder muss die Oper gut finden. Aber ich möchte den Kindern einfach einen Zugang zu dieser schönen und komplexen Kunstform ermöglichen. 

Woran liegt es denn Ihrer Meinung nach, dass viele Menschen – insbesondere Jüngere – solche Hemmungen vor der Oper haben?

Ich denke, das liegt einfach in der Geschichte der Oper. Früher war es etwas Höfisches, dort hatte das einfache Volk nichts verloren. Bis heute bestehen diese exklusiven und exkludierenden Opernklischees weiter, dass man sich schick anziehen muss, dass es da immer ernst zugeht. Aber die Komische Oper Berlin versteht sich schon immer anders. Der Gründer unseres Hauses, Walter Felsenstein, hat sich auf die französische Opéra-Comique besonnen, die nach der Französischen Revolution entstand. Damals wurde in der Landessprache gesungen, es gab gesprochene Texte und die Darstellung auf der Bühne war sehr verständlich. Er hat den Begriff Opéra-Comique als „Komische Oper“ übersetzt und frei interpretiert als „Oper für alle“.

Anne-Kathrin Ostrop, Komische Oper Berlin

„Ich möchte vermitteln, dass es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern dass jeder Musik interpretieren kann.“

 

Alle Opern wurden an diesem Hause auf Deutsch gesungen. Ist das bis heute so geblieben?

Wir haben uns in der Hinsicht verändert, genauso wie sich Berlin verändert hat. Die Stadt ist seit der Wende viel internationaler und bunter geworden. Viele Opern werden immer noch auf Deutsch gesungen, aber manche lassen wir in der Originalsprache, weil sie so einfach am besten klingen. Aber jeder Sitzplatz im Saal verfügt über eine Übersetzungsanlage und die Zuschauer*innen können so den Text auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Türkisch mitlesen.

Sie wollen die Berliner Vielfalt abbilden – was kann Musik in dem Zusammenhang besser schaffen, als andere Maßnahmen, wie etwa Integrationsangebote oder Projekte für Kinder aus belasteten Familien?

Musik drückt Gefühle aus, auch wenn ich den Text nicht verstehe. Und selbst wenn ich weder den Text noch die Musik verstehe, sehe ich die Darstellung auf der Bühne, wo mir die Geschichte erzählt wird. Mir ist es wichtig, mit meiner Arbeit zu vermitteln, dass man nicht alles verstehen muss und es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern dass man seine eigene Interpretation von Musik und Theater haben kann.

Kinderworkshop Komische Oper Berlin

Foto: Jan Windszus

So wie in den Workshops zu den Opern?

Genau. In diesen soll es nicht darum gehen genau das zu vermitteln, was Komponist*innen und Librettist*innen damit sagen wollten. Jeder Teilnehmende schlüpft in eine Rolle und füllt diese mit den eigenen Erfahrungen und der eigenen Sicht auf die Dinge und entwickelt so eine ganz eigene Interpretation und das ist sehr spannend. Da fließen dann viele unterschiedliche kulturelle Dinge mit ein, die die Teilnehmer*innen mitbringen. Teilweise kommt es dann auch zu lebhaften Diskussionen über Religion, kulturelle Hintergründe und unterschiedliche Lebensrealitäten. Es geht oft um viel mehr, als nur um die Oper. Es geht auch um gegenseitigen Respekt, friedvollen Umgang und Selbstbewusstsein. Deswegen sind diese Workshops schon längst nicht mehr nur für Kinder und Jugendliche, sondern für jede*n.

Die Komische Oper veranstaltet gemeinsam mit der Berliner Sparkasse immer im Frühsommer ein Sing Along. Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Berliner Sparkasse aus?

Die Zusammenarbeit mit der Berliner Sparkasse ist wirklich toll. Die Sparkasse ist auf uns zugekommen und wir durften uns ein Projekt ausdenken. Mir und uns wurde da ein sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Die Ziele: etwas gemeinsam zu erleben und etwas Vielfältiges zu schaffen, darüber waren wir uns mit der Berliner Sparkasse sofort einig. Und auch in der Corona-Pandemie hat uns die Berliner Sparkasse bei unseren digitalen Ersatzangeboten die Treue gehalten, wofür wir sehr dankbar sind.

Wie erleben denn die Kinder den „Berliner Sing Along“?

Das ist für sie natürlich etwas sehr Beeindruckendes – genau wie für uns. Es singen ja nicht jeden Tag 1.000 Kinder und Erwachsene bei uns im Saal – wie wir insbesondere in der harten Corona-Zeit schmerzlich erleben mussten. Da kommen einem fast die Tränen, man spürt so viel positive Energie und Lebensfreude, wenn Kinder gemeinsam singen und mit ihren Stimmen den Saal zum Klingen bringen. Die Corona-Pandemie ist für uns Kulturschaffende eine besonders traurige Zeit gewesen. Uns allen – insbesondere auch unserem jungen Publikum – fehlte die Ansprache durch kulturelle Erlebnisse und kreative Erfahrungen. Gemeinschaft mit anderen, „etwas gemeinsam gestalten“, das gemeinsame Singen haben alle Menschen vermisst, vor allem Kinder. Umso größer ist die Freude, dass unser „Berliner Sing Along“ in diesem Jahr endlich wieder stattfinden kann und wir den Saal mit unseren Stimmen füllen können.

Anne-Kathrin Ostrop, Komische Oper Berlin „Der Zuspruch für uns als Komische Oper ist durch die Berliner extrem groß.“ 

 

Was können Sie den Kindern an einem Sing-Along-Tag mitgeben?

Einfach das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in sich selbst: Ich kann das, ich kann singen. Viele Kinder sind auch sehr aufgeregt. Sie waren noch nie in einer Oper, haben noch nie eine richtige Opernsängerin singen gehört oder Musiker*innen live erlebt. Allein schon die Kulisse der Komischen Oper, der große Saal mit der hohen Decke und der goldenen Verzierung begeistert sie unheimlich. Das prägt sich bei den Kindern ein und wirkt lange nach. Die Berliner Sparkasse hat es uns auch ermöglicht, ein Buch in der Lesemaus-Reihe zu veröffentlichen. Dieses Buch „Ich hab eine Freundin, die ist Opernsängerin“ bekommen alle Kinder nach dem „Sing-Along“ geschenkt und können es dann natürlich auch ihren Freund*innen oder Geschwistern zeigen. 

Was für ein Feedback geben Ihnen die Lehrer*innen?

Das ist durchweg positiv. Wir sind auch immer darum bemüht, Schulen anzusprechen und einzuladen, die wirklich hinter dem Projekt stehen und mit Herzblut dabei sind. Umso mehr freut es uns, dass unser Projekt in den Schulen lange nachklingt. Eine Schule will nun einmal die Woche mit allen Schüler*innen in der Aula singen, eine andere hatte auf der Klassenfahrt die Lieder vom „Sing Along“ auf einer Wanderung gesungen. Wieder andere haben eine Stunde Chorsingen für die ganze Schule als neues Schulfach eingeführt! Solche Rückmeldungen sind für uns besonders schön. . Aber auch die Video-Reihe zum Sing Along mit Künstler*innen der Komischen Oper Berlin, die wir während der Pandemie produziert haben, wurde in vielen Schulen begeistert aufgenommen. Wir haben tolle Rückmeldungen aus ganz Deutschland bekommen, aber zum Beispiel auch von der Deutschen Schule in Athen, in der auch mit unseren Videos gearbeitet wurde. Da bietet ein digitales Format durchaus auch Chancen… 

Sind die Schüler*innen vom „Sing Along“ auch künftige Besucher*innen der Komischen Oper?

Zu einem gewissen Teil bestimmt. Wichtig ist doch, dass möglichst viele Kinder die Komische Oper Berlin als einen fröhlichen, inkludierenden Ort kennenlernen, in dem sie selbst gestalten können. 

Sing Along Komische Oper Berlin

Foto: Aurelio Schrey

Wie steht es denn um die Berliner*innen und Opern. Sind die Berliner*innen ein anspruchsvolles Publikum?

Der Zuspruch für uns als Komische Oper durch die Berliner*innen ist extrem groß, sogar in den Monaten der Pandemie halten uns unsere Freund*innen die Treue. Das Publikum ist unglaublich vielfältig. Und auch wenn wir das jüngste Opernpublikum bei uns haben, versuchen wir durch unsere Programmgestaltung natürlich alle zu erreichen.  

Kann ein digitales Format einen analogen Opernbesuch ersetzen?

Bei einem Opernbesuch geht es neben dem Genuss von Musiktheater um ein Gemeinschaftserlebnis. Weil gemeinsam etwas gucken und erleben etwas anderes ist, als wenn ich zu Hause allein vor dem Fernseher oder vor Facebook sitze. Die Sehnsucht nach gemeinsamen Erlebnissen ist ungebrochen. Ich habe den Eindruck, dass den Menschen die Wichtigkeit von Gemeinschaft in der Pandemie sehr bewusst geworden ist. Und ein Opernbesuch ist auch immer ein Gemeinschaftserlebnis. Die Sänger*innen da vorne auf der Bühne, die singen gerade für mich, für uns. Das Bedürfnis etwas gemeinsam zu erleben, Oper und Kunst gemeinsam zu erleben, werden auch ein paar Generationen Instagram-Nutzer*innen nicht verändern. Da bin ich mir sicher. Denn in der Oper erzählen wir immer mit allen nur denkbaren Ausdrucksmitteln Menschheitsgeschichten. Dieser Wunsch, sich in Gemeinschaft von Musik, Szene, Geschichte und Tanz verzaubern zu lassen, wird die Menschen immer zu uns bringen. 

Lesen Sie auch: „Kinder und Kultur“ in unserer Serie „Kleine Leute in der großen Stadt“.

Wir übernehmen Gesellschaftliches Engagement für unsere Stadt.
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