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Eine Pflegerin hebt ein kleines Kind in die Höhe.

Foto: Kinderhospiz „Berliner Herz“, Konstantin Börner

Kinderhospiz "Berliner Herz" - Vom einzigartigen Pilotprojekt zum Vorbild für Andere

2007 nimmt der Ambulante Kinderhospizdienst "Berliner Herz" in Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin unter der Trägerschaft des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg seine Arbeit auf. 2015 eröffnet das dazugehörige Kinderhospiz. Mit seinem teil- und vollstationären  Angebot ist es deutschlandweit ein Modellprojekt in der Kinderhospizarbeit. Begleitet werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre, die an einer lebensverkürzenden Erkrankung leiden sowie deren Familien und Angehörige. Das Kinderhospiz ist ein Ort der Begegnung, auch mit dem Ziel, gesellschaftliche Vorbehalte abzubauen und mit Tabus rund um den Tod zu brechen.   

Begleitung zu jeder Zeit   

Ob es an der deutschen Kultur liegt oder in der Natur des Themas, weiß Katja Schröther, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Hospize Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg, nicht. Sicher ist aber, dass über das Sterben und die Endlichkeit des Lebens kaum gesprochen wird und diese Themen eher von der öffentlichen Wahrnehmung isoliert sind. Dabei ist es vor allem die Kinderhospizarbeit, die aufs Leben ausgerichtet ist.  

"Die Kinderhospizarbeit unterschiedet sich grundlegend von der Erwachsenenhospizarbeit und zwar dahingehend, dass Erwachsenenhospizarbeit immer Palliativarbeit ist. Da geht es um die letzten Tage, Wochen, Monate. Bei der Kinderhospizarbeit ist das anders," so Schröther. Das "Berliner Herz" richtet sich an Kinder, die lebensverkürzend erkrankt sind. Manche Familien kommen mit ihren erkrankten Kindern erst ins Hospiz, wenn die Belastung der selbstständigen Pflege bereits zu groß ist, andere Kinder werden bereits ab dem Tag der Diagnosestellung begleitet, ambulant, stationär oder beides.  Der Verband übernimmt die Funktion einer Beratungsstelle, deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die schwerkranken Kinder und deren Angehörige individuell unterstützen.

  

Weg vom Rand der Gesellschaft  

Wie diese Begleitung aussieht, wird individuell auf die Kinder abgestimmt. Das Kinderhospiz mit 9 Plätzen ist genau dafür ausgelegt und es befindet sich mitten im Kiez. „Wir wollen nicht am Rande der Gesellschaft stattfinden." Die Kinder und Familien dürfen im "Berliner Herz" Entlastung und Krisenintervention erfahren. "Hier kommen die Kinder nicht her, um zu sterben. Am Ende ist das ein Ort voller Lebensfreude." Die Familien können in diesem geschützten Raum erleben, dass ihre Situation kein Einzelfall ist, dass sie nicht alleine und genauso Teil der Gesellschaft sind, wie alle anderen. Um das zu gewährleisten, setzt das Hospiz an verschiedenen Stellen an. Der Ambulante Kinderhospizdienst berät und unterstützt die Familien individuell bei allem, was auf sie zukommt. Hauptanliegen ist es, Ehrenamtliche in die Familien zu vermitteln, "Zeitschenker*innen, wie wir sie nennen," berichtet Schröther. Sie entlasten die Familien einmal wöchentlich im Alltag, helfen beim Einkauf oder betreuen das erkrankte Kind, damit die Eltern Zeit für sich haben. Auch die Geschwisterkinder werden berücksichtigt und Ehrenamtliche unternehmen Ausflüge mit ihnen, widmen ihnen Aufmerksamkeit. Doch die Geschwisterkinder sollen noch mehr Beachtung erfahren.

„Meinst du mich?“ – Geschwisterarbeit im „Berliner Herz“ 

Anke Konermann war bereits viele Jahre in der Kinderhospizarbeit tätig, bevor sie 2016 stellvertretende Pflegedienstleiterin wurde. Sie erinnert sich oft an die Begegnung, die Ende 2019 den Anstoß zum Geschwisterprojekt gab. „Ein neues Kind war für die Aufnahme im Kinderhospiz angemeldet. Ich klopfte an, um das Kind und seine Familie zu begrüßen, aber niemand bemerkte mich. Als ich in den Raum eintrat, nahm ich im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Die 6-jährige Schwester des erkrankten Kindes stand am Fenster und blickte sehnsüchtig auf den Spielplatz, während 7 Erwachsene um das Bett des erkrankten Kindes standen – es gab keine Notsituation, aber alle Aufmerksamkeit kam dem erkrankten Kind zu.“ Als sie das Geschwisterkind anspricht, kann das Mädchen zunächst nicht glauben, dass jemand wirklich danach fragt, wie es IHR geht. Das ist für Anke Konermann der Punkt, an dem sie weiß, sie will auch etwas für die Geschwister tun.  

Jungen und Mädchen stehen in grünen Kostümen auf einer Bühne.

27 Geschwisterkinder führen vor den Familien, die vom „Berliner Herz“ betreut werden, das Musical „Aponis Verwandlung“ auf. Foto: Kinderhospiz „Berliner Herz", Steffen Roth

Oft müssen die Geschwister in dem herausfordernden Alltag der betroffenen Familien zurückstecken und werden schnell einmal vergessen. Mit den Geschwisterangeboten wird ihnen Raum, Zeit und Aufmerksamkeit einmal nur für sich selbst geschenkt. Niemand konnte ahnen, wie sehr die Kinder jeden Alters, zwischen 2,5 und 19 Jahren über sich hinauswachsen und an Selbstbewusstsein gewinnen. "Die Geschwisterarbeit ist so wichtig, weil Kinderhospizarbeit immer Familienarbeit ist. Es wird immer das System Familie betrachtet. Natürlich ist das erkrankte Kind im Fokus, aber die Geschwister stehen täglich vor Herausforderungen, die ebenso Aufmerksamkeit verdienen. Darum heißt es bei diesen Angeboten für die Mädchen und Jungen wirklich ‚Hey, heute sind wir dran!‘," erzählt Katja Schröther. 

 

Nicht nur Aponis Verwandlung  

Anke Konermann sammelt stets neue Ideen und ruft 2020 ein Zirkusprojekt ins Leben. Doch Corona macht ihr einen Strich durch die Rechnung und das Projekt wird 2021 nachgeholt. Immer mehr Kinder äußern bereits damals ihren Wunsch, sie würden so gerne singen und einmal in ihrem Leben auf einer richtigen Bühne stehen. Und so entwickelt die Koordinatorin für Geschwister- und Trauerangebote gemeinsam mit Kollegin Hannah Loos das Konzept für die Aufführung „Aponis Verwandlung“. Ursprünglich war das Musicalprojekt für 15 Kinder geplant, doch immer mehr Geschwister und auch Kinder aus der Kindertrauergruppe des Berliner Herz begeistern sich für die Idee und möchten mitmachen. Letztendlich proben die 27 Mädchen und Jungen unter der Leitung verschiedener Kooperationspartner und Kooperationspartnerinnen zwischen Februar und Juli 2022 jeden Samstag. Gemeinsam gestalten sie selbst die Bühnenbilder und entwerfen mit Hilfe der Kostümbildnerin ihre Kostüme.  

Im Juli 2022 ist es dann endlich soweit: Das Musical wird auf der Bühne des Otto-Nagel-Gymnasiums aufgeführt und vom Publikum bestaunt. Katja Schröther erinnert sich gerne an das Projekt und das abschließende Fest: "Das war eine traumhafte Aufführung und die Proben waren ein toller und wichtiger Prozess für die Kinder. Da entsteht ein ganz anderer Zusammenhalt, wenn die Kinder jedes Wochenende proben. Das kann ihnen auch eine Perspektive für Hobbys oder Berufswünsche bieten, wofür im Alltag vielleicht kein Platz bleibt." Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Proben können die Koordinatorinnen beobachten, wie sehr die Kinder aufblühen. „Das war eine ganz besondere und intensive, tolle Zeit. Ich erlebte viele der Kinder in den Jahren vorher als sehr schüchtern. Ängstlich und zurückhaltend. Und dann…ganz plötzlich, während der Proben sind sie über sich hinausgewachsen“, berichtet Anke Konermann. 

Fortsetzung folgt…? Unterstützung kommt von der Stiftung Berliner Sparkasse

Das Musicalprojekt war ein rundum gelungener Erfolg. Sowohl die Kinder als auch die Eltern schwärmen begeistert von dem schönen Konzept und der tollen Aufführung. Es sind auch unter den Angehörigen wunderbare Freundschaften entstanden. Alle wünschen sich eine Fortsetzung. „Ich bin noch nicht wirklich davon weggekommen, ich würde es mir sehr wünschen,“ sagt Anke Konermann. Doch all das kostet Geld. Auch 2022 hätte das „Berliner Herz“ das Musicalprojekt nicht ohne finanzielle Unterstützung realisieren können. Carsten Otto von der Stiftung Berliner Sparkasse - von Bürgerinnen und Bürgern für Berlin und Anke Konermann lernten sich 2020 kennen. Es folgten viele gemeinsame Gespräche und Ideen. Schlussendlich entstand daraus diese besondere Idee zum Geschwisterprojekt. „Wir sind zutiefst dankbar für die Förderung der Sparkassenstiftung, die den Geschwistern und Familien dieses unvergessliche Erlebnis ermöglicht hat“, sagt Anke Konermann. Und wer weiß? Vielleicht wird tatsächlich irgendwann einmal der Herzenswunsch der Kinder und Familien wahr, dass es eine Fortsetzung dieses Musicals gibt…

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